09.12.2024
Lieber Henner,
im Sommer 2010 schleppte mich Steffen Mohr an einem Sonntagabend zu deiner Lesebühne, die sich damals noch in dieser versteckten Connewitzer Kellerbar befand. An der Theke stellte er dich mir vor, sagte dir, dass ich ein Diamant sei, den du gefälligst zu schleifen hättest. Das gefiel dir gut und natürlich nahmst du dir meiner an. Und dann ging es auch schon los. Du gingst zur Bühne und machtest, was du am besten konntest: Reden.
Ich war komplett eingeschüchtert. So viele Menschen, die ihre Texte vortrugen. Alle kannten sich, alle kannten dich. Und standest da vorne auf der Bühne, quaselste, was dir so in den Kopf kam und machtest nichts anderes, als gute Laune zu verbreiten und erwartungsfroh weitere LeserInnen auf die Bühne zu bitten. Wer sich traute, bekam ein Getränk seiner Wahl und zwei oder drei Sätze um die Ohren, die dir zu dem vorgetragenen Text eingefallen sind. Deine Kritik war scharf, präzise und niemals abwertend. Egal, was da gerade vorgetragen wurde, du hattest die Lesenden ermuntert weiter zu machen.
Irgendwann an diesem Abend traute ich mich dann auf die Bühne, saß dort, stammelte mir einen ab, verhaspelte mich, war viel zu schnell in meiner Aussprache und auf einmal schon fertig mit dem Text. Auch ich bekam von dir ein, zwei Sätze mit auf den Weg. Ich weiß nicht mehr, was du mir damals gesagt hattest, vielleicht ist es auch nicht wichtig. Wichtig ist, wie du es gesagt hast. So, dass ich wiederkommen wollte.
Und das tat ich.
In den nächsten Jahren war ich Dauergast auf deiner Lesebühne. Zwei Mal im Monat trafen wir uns. Die Veranstaltungen fanden dann nicht mehr in der Kellerbar statt, inzwischen waren wir im StuK.
Zehn Minuten. Ein Getränk meiner Wahl und ein paar einordnende Worte von dir. Das war der Deal. Danach noch Plaudereien, mal kürzer, mal länger, aber nie oberflächlich.
Wenn mich Familie und Freunde in Leipzig besuchten, rief ich dich an. Kurz danach trafen wir uns vor dem Gebäude der LVZ und es dauerte keine Minute und alle lauschten deinen Worten, die du über die Stadt Leipzig zu erzählen hattest. Gemeinsam sind wir mit dir die Straßen abgelaufen. Du erzähltest uns, dass der Spruch auf der Rathausuhr bedeuten würde, dass diese todsicher falsch gehen würde. Du stelltest uns unter die Klangdusche, bei der Klangschale waren wir natürlich auch immer und mit großer Freude berichtetest du von Karl May und wie er den Biberpelzmantel stehlen wollte. Und dann, wenn wir vor dem Bildermuseum standen, hast du immer vom kürzesten Kunstraub der Geschichte erzählt. Irgendwann hattest du dann genug, bist mit uns zur Pleißenburg gegangen und hattest es immer verstanden, dich auf mindestens ein Bier einladen zu lassen, oft war auch noch ein Essen dabei.
Als dann mein erster Roman erschien, warst du natürlich im Publikum, hattest natürlich in der ersten Reihe gesessen und natürlich nach meiner Lesung mit deiner Meinung nicht hinter dem Berg gehalten und direkt eine zugespitzte Diskussion mit meinem Verleger angezettelt. Ich hätte es dir nicht verzeihen können, hättest du den Mund gehalten.
Letztes Jahr kamst du mit nach Quedlinburg, als ich den Klopstock-Förderpreis gewonnen hatte. Du warst mit im Publikum und hast noch Monate später voller Belustigung vom Hund meiner Eltern erzählt, der laut aufjaulte, als das Streichquartett zu spielen anfing.
Das letzte Mal saßen wir im September zusammen. Du wolltest meinen neuen Roman in mehrfacher Ausführung haben. Du warst mächstig stolz auf deinen Diamanten, den du in den letzten Jahren geschliffen hast. Gemeinsam saßen wir im Café Grundmann, plauderten und spinnten herum. Du hattest mir von deinem Urlaub in Frankreich berichtet und ich dir von den Dingen, die mir gerade so widerfuhren. Es war schön.
Lieber Henner, mein Lebensweg wäre ohne dich so nicht möglich gewesen. Ich bin dir zutiefst dankbar und ich wünsche allen Schreibenden, auf Menschen wie dich zu treffen. Menschen, die ohne Eigensinn an einen glauben, die einen unterstützen und die dabei einen wunderbaren Humor an den Tag legen.
Danke!
Henner Kotte, 1963-2024