07.09.2022:
Statement zum Klaus-Michael Kühne-Preis.
DIE ZEIT hat mich um eine Stellungnahme zur aktuellen Debatte um den Klaus-Michael Kühne-Preis gebeten, für den ich dieses Jahr nominiert bin. Der folgende Text basiert auf der Antwort an DIE ZEIT. Persönliche Ansprachen an die Redaktion wurden von mir entfernt, Aussage und Sinn des Textes blieben vollständig erhalten.
Der daraus resultierende Artikel der ZEIT ist hier zu finden.
Ende Juli bekam ich eine E-Mail der Untiefen-Redaktion aus Hamburg. In dieser Mail wurden mir Glückwünsche zur Nominierung für den Klaus-Michael Kühne-Preis übermittelt. Weiterhin wurde mir die Geschichte der Firma Kühne + Nagel präsentiert, die öffentlich weitgehend bekannt ist. Im Artikel des Magazins wurde Herr Kühne dann dafür kritisiert, dass er keine öffentliche Aufarbeitung der Geschichte seines Konzerns zulässt, insbesondere der Zeit des Nazi-Regimes, in der sich die Firma Kühne + Nagel bereichert hat.
Ich zitiere aus der Mail der Untiefen:
„Doch fragen wir uns – und Sie: Wenn die öffentliche Ablehnung des Preises keine sinnvolle Option ist, was könnten dann alternative Wege sein, mit dem problematischen Hintergrund des Preises und seines Stifters dennoch Umgang zu finden?“
Hierauf habe ich den Untiefen geantwortet, dass ich es vor allem als problematisch ansehe, dass die öffentliche Kulturförderung sich immer weiter zurückzieht. Als Beispiel erwähnte ich den MDR-Literaturpreis, der bis 2015 jährlich vergeben und dann ohne Not kassiert wurde. In diese Lücke stoßen private Finanziers, die die fehlende öffentliche Förderung ersetzen. In meiner E-Mail habe ich darauf hingewiesen, dass die Hamburger Jury frei in Ihrem Handeln und der Preis meiner Meinung nach sehr gut kuratiert ist. Es ist mir eine große Ehre und Freude, mit AutorInnen wie Annika Büsing und Daniel Schulz in einer Reihe zu stehen. Auch die Betreuung seitens des Festivals ist sehr angenehm, die Rahmenbedingungen um den Preis herum sind erstklassig. Tatsächlich kenne ich keine Veranstaltung, die sich derart intensiv nur um DebütantInnen kümmert.
Bleibt da noch die Sache mit Kühne . Dass Herr Kühne die Nazi-Vergangenheit seiner Firma nicht aufarbeitet, ist falsch, ich verstehe seine Weigerung nicht. Würde er sich zu dem Schritt entschließen, wie es etwa die Familie Quandt getan hat, würde Klarheit herrschen. Das Deutschland der Gegenwart ist eine postfaschistische Gesellschaft. Noch immer leben Opfer und deren Peiniger unter uns. Zahlreiche deutsche Konzerne wie Kühne + Nagel, Volkswagen, BASF, Deutsche Bank, Deutsche Bahn, Daimler-Benz, Siemens, Henkel, Karstadt, Kaufhof haben aktiv dem Nationalsozialismus Vorschub geleistet, von ihm profitiert, Menschen bis zum Tod auf widerlichste Art und Weise ausgebeutet und gleichzeitig andere Menschen sehr reich gemacht. Deutscher Reichtum ist in vielen, wenn nicht sogar in den meisten Fällen auf dem Rücken der Opfer der NS-Zeit entstanden. So zu tun, als wäre alles in Ordnung, wenn Herr Kühne die NS-Vergangenheit aufarbeiten ließe, wäre auch falsch. Wir haben ein strukturelles Gesellschaftsproblem, zu dem wir AutorInnen uns individuell verhalten sollen.
Meine Haltung ist diese: Sollte ich diesen Preis gewinnen, werde ich das Geld annehmen. Einen beträchtlichen Teil werde ich dem Miteinander e.V. spenden, der Opfer rechter Gewalt betreut. Das restliche Geld benötige ich, um frei schreiben und arbeiten zu können. Ich entstamme einfachen Verhältnissen und musste mir bereits in jungen Jahren meinen Lebensunterhalt komplett selbst verdienen.
Zum Preis an sich: Die Jury ist, wie erwähnt, frei in ihrem Handeln. Gestandene Persönlichkeiten, wie unter anderem Judith Liere und Felix Bayer, werden sich wohl kaum von Klaus-Michael Kühne diktieren lassen, wer diesen Preis zu gewinnen hat. Wichtig ist mir: Die nominierten SchriftstellerInnen haben tolle Debüts hingelegt, die nun ihre wohlverdiente Aufmerksamkeit bekommen sollten.
Natürlich wünsche ich mir Alternativen zum Mäzenatentum einzelner. Warum gibt es keine Literaturförderung, die SchriftstellerInnnen in der Breite fördert, sodass diese gar nicht auf solche Preise angewiesen wären? Wie wäre es mit einem ZEIT-Literaturpreis? Warum lassen wir es als Gesellschaft überhaupt zu, dass sich Milliardäre so verhalten können, wie Kühne es tut? Der Mann lebt in der Schweiz, zahlt praktisch keine Steuern in Deutschland. Das erscheint mir problematischer, als dass er seinen Namen auf einen Preis schreiben und diesen, wohlgemerkt sehr professionell, organisieren lässt. Und wäre es nicht an der Zeit, dass wir, und da darf DIE ZEIT gern vorneweg gehen, ernsthaft über eine Umverteilung der Vermögen in Deutschland sprechen? Seit Jahrzehnten fließt das Geld in immer größeren Strömen zu den immer gleichen Leuten. 10.000 Euro davon sollen zurückfließen. TrägerInnen des Klaus-Michael Kühne-Preises waren unter anderem Christian Baron, Olga Grjasnowa und viele weitere SchriftstellerInnen, die auch Dank dieses Preises Ihren eigenen, selbstbestimmten Weg als KünstlerInnen beginnen konnten.