17.09.2025:
Vor einem halben Jahr bat mich eine größere Wochenzeitung darum, einen kritischen Artikel über Männlichkeit zu schreiben. Die Zeitung interessierte sich für meine Sicht auf Männlichkeit. es ging wohl auch darum, wie ich das als proletarisch und ostdeutsch geprägter Mann überhaupt so betrachte.
Am Ende hatte ich nicht ganz das hervorgebracht, was sich die Redaktion gewünscht hatte. Ich konnte die Einwände damals gut verstehen, wollte aber nicht meinen Text und vor allem nicht meine Herangehensweise ändern. Möglich, dass mein Verhalten da etwas zu negativ männlich ist, wenn ich in diesem Fall nicht in der Lage bin, einen Kompromiss einzugehen.
Den Artikel wegzuschmeißen fände ich aber schade und da fiel mir ein, dass ich ja hier mein ganz eigenes, sehr kleines Medium habe, wo ich das Ding mal reinstellen kann.
Also hier ist der Text:
Wann ist der Mann ein Mann?
Als ich darum gebeten wurde, einen Text über Männlichkeitsbilder in Ostdeutschland zu schreiben, dachte ich an Stereotypen, die lauthals verkünden, dass ein Mann für seine Familie da zu sein hat, nur um sich im nächsten Moment vor jeglicher Verantwortung zu drücken. Ich dachte an meine eigenen Verfehlungen, dachte an toxische Männlichkeit, dachte an AfD-Wähler und an Typen, die nicht in der Lage sind über ihre Gefühle zu reden. Kurzum ich dachte an nichts Gutes. Und ich dachte in Bildern, die mich persönlich und diesen Text nicht weiterbringen würden.
Ich beschloss anders an dieses Thema heranzugehen. Bevor ich mit meiner begrenzten Perspektive einen zwangsläufig einfältigen Essay zur Männlichkeit in Ostdeutschland schreibe, wäre es erkenntnisreicher, Menschen zu fragen, die in Ostdeutschland leben und/oder sozialisiert wurden. Meine Hoffnung war und ist, so ein komplexeres Bild zeigen zu können.
Ich habe einen kleinen Aufruf in meinem Bekanntenkreis gestartet, der sich dann verselbstständigt hat. Plötzlich meldeten sich auch Menschen, die mir vollkommen unbekannt sind und gleichzeitig so wichtige Perspektiven zu diesem Thema beitragen. Die Menschen, die hier ihre Statements abgeben, sind weiblich, männlich und divers. Manche von ihnen sind hetero-, andere homosexuell, der bei weitem größte Teil ist in Ostdeutschland geboren und aufgewachsen, einige wenige dieser Menschen leben erst seit ein paar Jahren hier.
Die Reaktionen zeigen mir, was ich schon lange wusste: Es gibt ihn nicht, den einen Ossi. Dieses Konstrukt ist pure Fantasie und es wird Zeit, dass wir Ostdeutschland in seiner Vielfältigkeit betrachten.
Weiblich, Studentin, 20 Jahre alt:
Männlich ist es schnelle Autos zu fahren, Sport zu machen, Gewichte umherzuschmeißen, viele Muskeln zu haben – Testosteron und Adrenalin. Männlich ist es aber auch Gefühle zu zeigen, Emotionen zu offenbaren und auch Mal zu weinen. Es ist männlich, zu sein, wie man sein möchte, auch wenn das vielleicht nicht dem Mainstream entspricht, auch wenn man dann vielleicht anders ist als andere. Aber sich dafür nicht zu schämen und für sich einzustehen und trotzdem das zu machen was einen glücklich macht – das finde ich männlich.
Männlich, Historiker, 43 Jahre alt:
Schuld, Scham, Scheu – Biologische und soziale Aspekte der Männlichkeit stehen unter Generalvorbehalt. Das links-bürgerliche Selbstverständnis kennt auch hier keinerlei entspanntes Sein, es läuft auf progressives Biedermeiertum und eine kryptorestrektive Sexualmoral hinaus. Historische Phänomene, wie der Puritanismus oder die religiöse Heiligung der Ehe, werden dadurch aber wieder verständlicher, ihre sozialorganisatorischen Ursprünge nachvollziehbarer.
Weiblich, Notarfachangestellte, 52 Jahre alt:
In meiner Generation gab es noch eine strikte Trennung von Mann und Frau. Eine Generation später hat sich das alles vermischt, dieses keine Gefühle zeigen und ein Mann muss nichts im Haushalt tun, hat sich geändert. Ich denke, da sind Mann und Frau ein bisschen zusammengewachsen. Es ist inzwischen in Ordnung, wenn ein Mann die Kindererziehung übernimmt. Ich denke, dass es in der jetzigen jungen Generation sogar noch weitergeht, da gibt es Männer, die sich mehr in die weibliche Richtung orientieren und die gleichen Dinge wollen, die Frauen wollen. Aber auf der anderen Seite gibt es auch diese Männer, die zum Sport gehen, die Muskeln haben, die zeigen, dass sie sehr männlich sind.
Männlich, Schauspieler und Musiker, 56 Jahre alt:
Männlichkeit ist für ein äußerst negativ konnotierter Begriff. Schon die Geschichte lehrt warum. Auch derzeit sind es wieder geldgierige, auf Imperialismus getrimmte Männer, die die Welt in Richtung Katastrophe zerren. Männlichkeit steht für Missbrauch, Besserwisserei, Dick-Pics und Cat Calling. Da ist man als Mann in keiner besonders guten Gesellschaft, aber damit muss ich klarkommen.
Weiblich, Psychologin, 38 Jahre alt:
Ich glaube, dass die Männlichkeit es zur Zeit schwer hat – fast schwerer als die Weiblichkeit. Beide Geschlechter stehen in einer gewissen Dialektik zueinander. Wenn Weiblichkeit sich weiterentwickelt muss sich auch Männlichkeit weiterentwickeln und umgekehrt. Oder wenn eins schwach wird, ist das andere auch schwach. Es ist fast unmöglich, dass die beiden Geschlechter sich gegenseitig heilen können oder, dass einer den anderen wieder hochziehen kann. Ich glaube beide werden gleichermaßen untergehen, wenn sie nicht aufpassen.
Männlich, Student, 28 Jahre alt:
- Verantwortung übernehmen.
- Konsequenzen tragen.
- Unter Druck die eigenen Interessen verfolgen.
- Prinzipien haben, nach diesen leben.
- Nachsichtig sein.
Männlich, Teamleiter im Handwerk, 30 Jahre alt:
Egal wie stark, groß, breit man als Mann ist, man sollte seine Emotionen unter Kontrolle haben. Man sollte nie, vor allem Frauen gegenüber, ausfallend werden und vor allem keine körperliche Gewalt anwenden. Die größte Form von Männlichkeit ist für mich, wenn man inneren Frieden mit sich schließen konnte und eine selbstbeherrschte, gelassene und ruhige Person ist. Wenn man weiß was man möchte, wenn man sich und seine Emotionen kennt, wenn man Selbstreflektion beherrscht.
Weiblich, Schülerin, 11 Jahre alt:
Ich denke dabei an einen Mann der „bestimmte“ Kriterien erledigt. Was ihn zu einem „wahren Mann“ macht, ist zum Beispiel, dass er stark ist oder so.
Männlich, Freier Handelsvertreter für Photovoltaik- und Wärmepumpenkonzepte, 42 Jahre alt:
Die perfekte Männlichkeit ist für mich die beste Mischung aus Autonomie und Bindung, um für seine Familie zu sorgen, sie zu ernähren, sie zu beschützen und ihnen das Gefühl zu geben, dass auch sie die perfekte Mischung aus Autonomie und Bindung leben können, ohne in eine Ecke gepresst zu werden. Dann kann sich jedes Mitglied der Familie frei entfalten.
Weiblich, Lehrerin, 26 Jahre alt:
Männlichkeit ist für mich, wenn Männer ihre wahren Gefühle zeigen und kommunizieren können.
Ein Mann ist männlich, wenn ihm sein Ego nicht das wichtigste ist.
Männlichkeit bedeutet die Stärke eines Menschen unabhängig seines Geschlechts anerkennen zu können.
Männlich, Bauunternehmer, 55 Jahre alt:
Fest steht, dass sich die Ansichten generationsübergreifend geändert haben. Der Beschützerinstinkt gehört immer mit dazu, manchmal ein bisschen mehr, manchmal ein bisschen weniger. Dass man unbedingt stark sein muss, würde ich heute gar nicht mehr als unbedingt männlich bezeichnen. Auf jeden Fall ist es männlich immer für die Familie da zu sein. Ansonsten: Egal, Frauen sind auch stark!
Weiblich, Schülerin, 17 Jahre alt:
Apfelsaft ist sehr männlich! Knöchelsocken stehen für toxische Männlichkeit! Männlichkeit kommt von Angst vor Fragen und das ist das peinlichste, was ich kenne!
Männlich, Abteilungsleiter in der Softwareentwicklung, 34 Jahre alt:
Für mich als schwuler Mann ist Männlichkeit zum einem eine potenzielle Quelle für Sexappeal, eine gewisse physische Ästhetik, die ich attraktiv finde und zu der ich mich hingezogen fühle.
Nach Artikel 12a Grundgesetz kann ich im Kriegsfall zum Dienst an der Waffe gezwungen werden. Das ist der andere Part von Männlichkeit, die für mich ein bittersüßes Konzept ist.
Männlich, Landwirt, 28 Jahre alt:
Rauchen. Verbrennungsmotor. Nicht über Gefühle reden können.
Weiblich, Schriftstellerin, 31 Jahre alt:
Für mich ist Männlichkeit ein Begriff, der neu definiert werden muss. Meistens habe ich nur negative Assoziationen wie zu viel Raum für sich zu beanspruchen und laut sein. Moderne Männlichkeit kann auch zuhören und Gefühle zu zeigen bedeuten.
Männlich, Kita-Pädagoge, 43 Jahre alt:
Gefühle zeigen zu können und Frauen in ihrem Sein zu unterstützen finde ich männlich. Natürlich im Konsens.
Weiblich, Lehrerin, 47 Jahre alt:
Ich denke zuerst an toxische Männlichkeit, was sich aus meinen eigenen Erfahrungen als Frau und aus meinen Beobachtungen im Schulalltag ergibt, da Verstöße jeglicher Art, wie Gewaltausübung, sexuelle Übergriffe meist von Männern, vor allem von betont männlichen und maskulinen Männern ausgehen.
Männlich, Verleger, 38 Jahre alt:
Männlichkeit in Ostdeutschland hieß immer, hart gegen sich selbst sein, viel aushalten können, egal ob Schmerzen durch körperliche Gewalt oder durch Alkohol und Drogen. Ich sehe da viele Parallelen zu den Idealen der NS-Zeit. Wir wollten hart wie Stahl sein, alles andere war weibisch. Selbst Streben nach Wissen und intellektueller Ehrgeiz war in sehr männlichen Kontexten lange Zeit verdächtig.
Bis heute fällt es mir schwer, meine eigene Männlichkeit als etwas Positives zu empfinden.
Weiblich, Schülerin, 18 Jahre alt:
Männlichkeit ist die Ausrede dafür, keine Anleitung zu lesen, denn Mann braucht das nicht.
Männlichkeit ist die Ausrede dafür, sein Leben dem eines Teenagers auf einem Junggesellenabschied anzupassen, ohne das dies auf große Verwunderung stößt.
Männlich, Materialgutachter, 36 Jahre alt:
Immer 100% geben, egal ob bei der Arbeit oder beim Sport. Probleme möglichst selbst lösen. Zum Fußball gehen und blaue Flecke beim Pogo oder beim Sport einsammeln. Aber auch Familie gründen, ein guter Vater sein und ein Haus bauen.
Weiblich, pensionierte Ärztin, 67 Jahre alt:
Männer sind für mich echte Männer, wenn sie mit wenigen klaren Worten ihre Meinung sagen, ohne andere abzuwerten. Ich spüre Männlichkeit, wenn ich mich als Frau anlehnen darf und gehalten fühle ohne Erwartungen des Mannes zu spüren. Männer sind für mich echte Männer, wenn sie sich freuen können, wenn sie neugierig sind, wenn sie schönes genießen können und wenn sie in schweren Situationen einfühlsam sind und leise weinen können.
Männlich, Fußballfunktionär, 43 Jahre alt:
Männlichkeit wird heute mit zwei Begriffen assoziiert: toxisch und Stärke. Wobei ersteres inflationär benutzt wird und zweiteres eher ihrem Ursprung entspricht. So muss man leider heutzutage als Mann aufpassen nicht zu überpacen und damit toxisch zu wirken. An allen Ecken lauern Fallen und Fettnäpfchen der woken Correctness. Nichtsdestotrotz sollte es jedem Mann ein Ansinnen sein, Männlichkeit wieder mit Stärke zu besetzen, indem er anpackt, beschützt, kreiert, vorantreibt, kommuniziert und Ergebnisse schafft. So sieht die Gesellschaft, dass Männlichkeit durchaus positiv besetzt ist, was wieder zu mehr Akzeptanz und Wertschätzung von Männern und ihrer Ur-Männlichkeit führt!
Männlich, Priester, 36 Jahre alt:
Als zölibatär lebender Mann im Dienst der Kirche, bedeutet Männlichkeit für mich, authentisch das zu leben, was ich sonntags predige und nur das sonntags zu predigen, was auch lebbar ist.