07.06.2022:
Diesen Monat gibt es einen ganz kleinen Auzug von mir im Magazin der Deutschen Bahn, DB-Mobil (Seite 51). In meiner Naivität dachte ich, dass die Bahn richtig viel Text von mir haben will, und habe dementsprechend in die Tastatur gehauen.
Naja, wie soll ich sagen, es war ein bisschen zu viel Text. Es fällt mir in der Tat nicht immer leicht, mich kurz zu fassen. Meinem Roman hätte ich locker um 100 Seiten erweitern können. Inzwischen ist es so, dass ich auf meinen Lesungen oft von den Hintergründen der Figuren erzähle. Für mich ist da so viel mehr in den Charaktären, als dann tatsächlich im Buch gezeigt wird. Die Väter von Heiko und Thomas haben eine komplexe Vorgeschichte miteinander, aus der allein man einen ganzen Roman spinnen könnte.
Aber darum soll es heute nicht gehen und ich bin schon wieder vom Thema abgekommen. Wie bereits gesagt, durfte ich etwas für die Deutsche Bahn schreiben. Die kleine Version meines Textes finde ich ganz schön, aber ich gebe zu, dass ich die lange Version noch etwas schöner finde. Das hat auch ganz viel mit dieser Website hier zu tun. Vor einem halben Jahr habe ich hier an dieser Stelle von meinen Recherchen am Beetzendorfer Bahnhof geschrieben. Der Text im Heft der Bahn schließt nahtlos daran an, denn die Bahn wollte Orte genannt bekommen, an denen ich mich zum Schreiben inspierieren lasse. Ja, und was kann es da schöneres im Heft der Bahn geben, als einen kleinen Text zu einem Bahnhof?
Hier ist er:
Der Beetzendorfer Bahnhof war in meiner Jugend ein beständiger Fixpunkt. Jeden Mittwoch fuhr ich von hier mit der Ferkeltaxe nach Salzwedel. Diese wöchentlichen Fahrten waren mein erster Versuch eines Aufbruchs in ein selbstständiges Leben. Raus aus dem kleinen Dorf, rein in die kleine Provinzstadt. Hier konnte ich ganz vornehm Baumkuchen essen, kindisch den Spielwarenladen auf der Neuperverstraße plündern und schon fast Erwachsen Schmuddelhefte im Sexshop einsacken. Dann, am Abend, ging es zurück in die graugrüne Ferkeltaxe, die mich langsam, über die Felder tuckernd, zum Beetzendorfer Bahnhof zurückbrachte.
In den Jahren seiner Erbauung lag der Bahnhof am südlichen Ende des Dorfes. Nach und nach wuchs der Ort über die Schienen hinweg, er spiegelte sich praktisch an den Gleisen, sodass der Bahnhof heute in der Mitte liegt. Ein kleiner Vorplatz ähnelt einem Markt, früher gab es eine Kneipe im, und eine Eisdiele am Bahnhof. Beides ist verschwunden, nur der Getränkemarkt in unmittelbarer Nähe zeugt noch von der alten Geschäftstüchtigkeit.
Auch wenn seit gut zwanzig Jahren keine Ferkeltaxe mehr hier Halt macht, mag ich diesen Bahnhof. Sein Anblick erzählt viel von dem Ort. Steht man auf dem alten und schiefen Gleispflaster, so fällt es nicht schwer sich vorzustellen, wie hier Menschen ein- und ausstiegen, wie Besoffene aus der Kneipe und in die Züge torkelten, wie Fracht ent- und beladen wurde. Man kann sogar die Schweine riechen, die in die Züge getrieben wurden, und die der Namensgeber der Schienenbusse waren, die hier stündlich hielten. Und jedes Mal wenn ich hier stehe, sehe ich auf den kleinen Schrankenwärterturm und höre das Läuten der Glocken, wenn die Frau im Turm die Schranken herunterkurbelte. Sogar ihre Bewegungen habe ich noch präzise vor Augen.
Der Leipziger Bahnhof lädt zum Flanieren, der Frankfurter ist berüchtigt und der Stuttgarter bald unter der Erde. Der Beetzendorfer Bahnhof jedoch, ist ein Überbleibsel aus einer anderen, längst vergangenen Zeit. Wer hier einstieg, fuhr nach Oebisfelde oder Salzwedel. Links und rechts der Bahnstrecke Kartoffeläcker, Weizenfelder und Kiefernwälder. Altes, märkisches Land. Von Oebisfelde ging es weiter nach Magdeburg. Und wer ganz weit weg wollte, der konnte vor hundert Jahren in Salzwedel auf die Amerikalinie umsteigen, und dort seinen großen Träumen nachjagen. Amerika. In Beetzendorf fing dieser Traum an.
Und das macht diesen Bahnhof so schön, auch wenn er die besten Zeiten schon lange hinter sich hat: Noch heute lädt er zum Träumen ein.
Und an dieser Stelle sei eins verraten: In meinem nächsten Roman wird dieser Bahnhof nicht nur einmal auftauchen. Von irgendwo müssen die Figuren ja aufbrechen, wenn sie in die große Welt wollen. Genau wie ich damals.
Und weil die Phantasie so schön sein kann, werde ich heute kein Bild vom Bahnhof posten. Habt einen schönen Juni! Wir sehen uns diesen Monat noch in Dresden und in Köln, ich freu mich auf euch!